Die Kraft des Büffels  -Gedanken zum Yin-Neujahr 2021

von Ursula Rihovsky

Klar und schlank hing die Mondsichel am Himmel, gerade wie hell ausgeleuchtet mit elektrischem Licht, und verlieh dem so kalten Abend ein eigenartiges, noch tiefer frostiges Aussehen. Der matt schimmernde Schnee ringsum schien Stille zu verbreiten. Ich fühlte mich in die höchsten Schneegebirge der Erde versetzt.

In weiten Teilen der Welt wurde an diesem Abend der Beginn des YIN-Neujahrs gefeiert. Im Gegensatz zum Silvester-Jahreswechsel, der um das ganze Erdenrund am 31. Dezember stattfindet und dem das YANG-Jahr folgt, beginnt das YIN-Neujahr nach dem Mondkalender in diesem Jahr am 12. Februar und mit dem Ablauf der natürlichen kosmisch-irdischen Bewegungen folgend zugleich der Frühling.

Nach alter Sitte spielen die zwölf Tiere des chinesischen Horoskops, auf den Jahreskreis verteilt, ebenso wie die Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser, die aussagekräftige Grundlage zur Wesensbeschreibung eines Jahres. Für dieses Jahr gilt die Bezeichnung ‚Metall-Büffel‘, wobei ganz allgemein vom ‚Jahr des Büffels‘ gesprochen wird. Das erwähnte Wei Ling Yi, als er die Online-Veranstaltung mit einem Vortrag begann.

Seit Jahren sagt uns Wei Ling Yi, dass es die Aufgabe von uns ist, die Himmelskräfte auf die Erde zu ziehen. Mit anderen Worten geht es darum, die irdische Welt mit der Lotuswelt  – unserem kosmischen Ursprung – zu durchdringen, die wir uns im Alltag als weit ab oder gar nicht vorhanden vorstellen. Nur – so führt Wei Ling Yi aus – das gelingt weder mit physischen Fähigkeiten und Anstrengungen noch mit den so hoch bewerteten intellektuellen Kräften von uns Menschen. Es gelingt uns nur über die Herzenskraft, die wir über Selbstvervollkommnung und Kultivierung entfalten können. Die oft gehörten Begriffe ‚Tugend‘ und ‚tugendhaftes Leben‘ sollen dies verkürzt zum Ausdruck bringen, auch wenn diese den äquivaleten chinesischen Begriff  – “Gong De”  – nicht genau übersetzen. Es wird uns nichts geschenkt auf unserem Weg, Erkenntnis zu gewinnen und mit der Handhabung von unsichtbaren Kräften umgehen zu können.  Wir wissen, dass die Welt der Erscheinungen, die YANG-Welt, also das Offenbare aus dem Unoffenbaren, der Welt der geistigen Kräfte, der YIN-Welt, hervorgeht. Egal, um welchen Schöpfungsmythos im Laufe der Zeiten es sich handelt, immer gibt es in allen Bildern und Erklärungen diesen Punkt, hinter den wir nicht sehen können. Irgendwo muss das verborgen sein, was das Andere entstehen lässt. Und wir können es uns nicht vorstellen. In dieser Welt des YIN, wie es aus der univerellen Weisheitskultur heraus bezeichnet wird, sind alle Potenziale geborgen, denen wir als Phänomene und erfassbare Vorgänge in der YANG-Welt gegenüber stehen. Es wird klar, dass Potenziale bis zu ihrer Hervorbringung im YIN unoffenbart verweilen.  Wir sind es gewohnt und bemühen uns, jeder einzelne Mensch und die Menschheit im Allgemeinen, die YANG-Welt, in der wir im Irdischen leben, immer besser zu verstehen und aufzuschlüsseln. Ebenso kommt es der YIN-Welt zu, die ja immer auch Teil von uns selbst und allem ist, dass sie von uns geschaut werden soll, um überhaupt Teil zu werden von dem, was wir ‚Lebenswissenschaft‘ nennen. Zumindest ihre Realität muss als Tatsache anerkannt werden, woran es in unserer Welt mangelt. In der YIXUE-Lehre spielen beide Aspekte  – die YIN und die YANG-Welt – gleichbedeutende Rollen in unserem Leben. Jeder Suchende, das heißt jede und jeder seiner Schülerinnen und Schüler, beschäftigt sich vom ersten Zusammentreffen mit Wei Ling Yi mit dem Aufsuchen dieser Kräfte und hört von der Urkraft Yi Qi, die in allem, was es gibt, vorhanden ist  –  doch mehr oder weniger verborgen.  Die Jahre im YIN-Kalender sind so in ihren Grundzügen von ganz bestimmten Kräften geprägt, die in den Tieren des chinesischen Horoskops in Verbindung mit den Elementen symbolisiert werden. ‚Was symbolisiert uns der Büffel‘? fragte Wei Ling Yi in die virtuelle Runde und begann, über die Welt der Kräfte zu sprechen, die sowohl im YANG als im YIN, also offenbar wie auch nicht offenbar, unsere Begleiter sind und uns zu jeder Anstrengung befähigen.

Der Büffel, dem das kommende YIN-Jahr zugeordnet wird, symbolisiert Kraft, Beständigkeit, Gleichmaß, Durchsetzungsvermögen wie auch Geduld. Der Büffel ist stark, trägt Lasten, geht unbeirrt Schritt für Schritt seines Weges. Wei Ling Yi verbindet diese Charakteristiken mit den momentanen Notwendigkeiten in der Corona-Pandemie und der bedrohlichen Weltlage insgesamt: Der Mut, der Wille, vorwärts zu gehen, das unbeirrte Tragen der Last, Gleichmaß, das Ziel nie aus den Augen verlierend, was die Wandlung allen jetzigen Geschehens herbeiführen kann, soll uns vor Augen stehen.

Sich vor Angst zu verkriechen kann die Lösung nicht sein. Die Vorsicht vor Kontakten untereinander darf freilich nicht fehlen. Wir müssen realistisch sein und der Welt der Erscheinungen, in der wir irdisch zu Hause sind, den Zoll bezahlen, der für unser körperliches Überleben nötig ist. Doch das, was hinter all dem steht, dort, wo der Ursprung aller Phänomene und Ereignisse liegt, dort mögen wir angesichts der Kräfte und der Rechtschaffenheit des Büffels Maß an ihm nehmen und ‚selbst zum Büffel werden‘. Als Beispiel für Menschen, die uns gezeigt haben, wie büffelgleich ein Mensch durch ein schwieriges Leben kommen kann, erwähnt Wei Ling Yi in seinem Vortrag den Naturwissenschaftler Nikola Tesla.

Nikola Tesla (1856 – 1943), der in der Elektrizitätslehre Grundsätzliches, ja Epochemachendes geleistet hat und auf den die Anfänge unseres jetzigen technologischen Informationszeitalters zurückgehen, hatte ein bewegtes Leben zu bestehen. Unaufhörlich mit Erfindungen beschäftigt, besaß er zuletzt weit über hundert Patente, fand jedoch nur sporadisch Anerkennung, wurde betrogen und beneidet, verfolgt und gedemütigt. Er verfügte über die wenigste Zeit seines Lebens über die Mittel für ein auskömmliches Dasein. Unbeirrt ging er seinen Weg, trug alle Widerwärtigkeiten und ging Schritt für Schritt die Linie seiner Erfindungen entlang. „Er trug“, sagte Wei Ling Yi, „diese Büffelkräfte in sich und entzog sich nicht der Beschwernis, die er zu bestehen hatte.“

Wei Ling Yi ließ uns während seines weiteren Vortags ein Bild betrachten, auf dem ein Büffel und neben ihm ein älterer Mann, ein Weiser, dargestellt sind. Sie gehen zusammen vorwärts. Auf dem Rücken des Büffels sodann sitzt ein Kind, das uns aus der YiXue-Lehre als das ‚Innere Kind‘ oder als das ‚Goldene Kind‘ bekannt ist und welches wir in unserer Kultivierungs- und Entwicklungsarbeit groß werden lassen sollten. Es symbolisiert unsere Seele, die aufstreben will und nach Befreiung sucht und deren Kraft und Stärke wir dringend bedürfen in der gegenwärtigen Zeit. Viel Intelligenz, Durchblick, Mut, Durchhaltevermögen und Tatkraft – und damit ein weises ‚Inneres Kind‘ – sollen in uns aufblühen, um die Zeiten zu bestehen.

Während dieser Bildbetrachtung für das kommende Jahr, die einer ‚Lehre ohne Worte‘ gleichkommt, forderte uns Wei Ling Yi auf, die Botschaft in diesem Bild zu spüren:

„Öffnet Eure Herzen, lasst Euer Blut merklich fließen, denkt daran, Eure Akupunkturpunkte zu öffnen und wisset, dass Wirkungen davon nicht nur durch Erkenntnis über den Kopf ausgehen, sondern direkt empfangen werden können. Nehmt in Euch für dieses Jahr die Kraft des Büffels auf!“

Wei Ling Yi hatte sich ein kleines Lied, ein Mantra ausgedacht, das er zunächst alleine sang und das wir dann – die Melodie war leicht zu erlernen – mitsangen, jeder in seiner eigenen häuslichen Umgebung. Das Mantra handelt vom neuen Jahr und der Figur des Büffels mit ihrer unschlagbaren Kraft. Wir sangen in die kommende Zeit, das jetzt beginnende Jahr, das Wissen um die Unschlagbarkeit des Büffels hinein. Mit anderen Worten, wir haben die Kräfte angerufen, deren wir bedürfen und schlossen mit einer fröhlichen gegenseitigen Begrüßung und Verabschiedung über das digitale Netz, ganz so, wie es einem Fest wie dem heutigen zukommt.